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„Schreiben ist harte Arbeit“

Der Lyriker José F. A. Oliver ist am Montag im Unterricht zu Gast gewesen.

 

(Bericht und Bild von Kornelia Hörburger vom Gränzboten)

An ihren ersten eigenen Gedichten haben sich die Schüler der Klasse 9d am Otto-Hahn-Gymnasium in Tuttlingen in den vergangenen Wochen schon versucht. Die Fragen, die daraus erwachsen sind, konnten sie jetzt einem Profi stellen: dem Lyriker José F. A. Oliver.

„Die Übergänge gefallen mir noch nicht“, urteilt ein Schüler selbstkritisch, nachdem er ohne zu zögern sein selbst verfasstes Gedicht vorgetragen hatte. Dabei gefiel dem „Profi-Dichter“ José F. A. Oliver, der an diesem Morgen für eine Doppelstunde anstelle von Deutsch-Lehrerin Ines Schönberger vor der Klasse stand, der Text gut.

Auf Olivers Nachfragen hin wird die Kritik präziser: „Was genau gefällt Dir wo genau nicht? Kommt die Verknüpfung der Bilder zu überraschend? Sind Dir die Übergänge zu hart?“ Auch die Resonanz der Mitschüler lässt Oliver genau analysieren: Was bedeutet ein „Gut, aber… ?“ Sensibilisierung für Sprache ist eines der Hauptziele des Projekts „Literarisches Schreiben im Deutschunterricht“.

Ausgangspunkt sind acht Lieblingsgedichte der Schüler

Die Schüler schildern, wie ihre Texte entstanden sind: Acht Liebesgedichte standen zur Auswahl, deren Autorenspektrum von Goethe bis Erich Fried reichte. Die Schüler sollten ein Wort oder einen Begriff auswählen, und darüber ein Parallelgedicht schreiben.

Aus der Schreibpraxis heraus tauchten viele Fragen auf. Muss sich ein Gedicht reimen? Wann ist ein Gedicht ein Gedicht? Von Oliver erfuhren die Neuntklässler, welchen Weg seine Gedichte bis zur Freigabe für die Veröffentlichung durchlaufen.

In einem kleinen roten Buch, das Oliver aus der Hosentasche zog, hielt er als Notiz spontan all das fest, was ihn berührte. Die darauf folgende Stufe bezeichnete der Lyriker als „Notat“. Hierbei habe er schon weiter über ein Stichwort nachgedacht, Assoziationen notiert, und vielleicht auch recherchiert. „Verdichtung“ nannte er die Suche nach einer adäquaten sprachlichen Form. Dabei stelle er sich Fragen wie: Welche Bilder verwende ich? Welchen Rhythmus?

Elf Kategorien müsse ein Text für ihn erfüllen, um ein Gedicht zu sein, erklärte Oliver. Neben dem Anspruch, die Dinge nicht nur zu beschreiben, sondern intuitiv zu vermitteln, führte er dabei auch Kriterien für die sprachliche Form auf.

Oliver glaubt nicht an Genies, die Gedichte aus dem Ärmel schütteln. Schreiben sei vielmehr harte Arbeit und ein kontinuierlicher Prozess. Zehn Jahre habe er gebraucht, bis sein jüngster Lyrikband erschienen sei, erfuhren die Schüler.

Der Lyriker beantwortetgeduldig viele Fragen

Geduldig beantwortete Oliver viele Fragen: Nur daheim könne er arbeiten, seine Privatbibliothek in Griffweite und bei absoluter Ruhe. Zuhause sei er dort, wo er sich nicht erklären müsse. Er schreibe aus der Notwendigkeit heraus: Schreibend trete er mit sich und der Welt in Dialog, schreibend verstehe er die Welt. Einen Reim auf die moderne Welt könne er sich oft nicht machen, deshalb reime er auch nicht in seinen Gedichten.

Seine Sprachspielereien in andere Sprachen wörtlich zu übersetzen, sei nicht möglich. Jede Übersetzung sei ein weiteres Originalgedicht. Eine ganze Vorlesung bräuchte er allerdings, um die Frage zu beantworten, ob er im Philosophie-Studium hinter den Sinn des Lebens gekommen sei. Und, nein: Ein Autor denke beim Schreiben nicht daran, dass Leser später seine Stilmittel analysieren müssten. Fachbegriffe wie Jambus und Trochäus seien Hilfsmittel dafür, sich qualifiziert über Texte austauschen zu können.

Mehr als eine analytische und kognitive Annäherung ans Unterrichtsthema „Liebeslyrik“ wünschte sich Deutschlehrerin Ines Schönberger für ihre Schüler. Um Lyrik lebendig zu erleben, sollten sie sich selbst als Schreibende erfahren. Ganz ähnliche Erfahrungen wie ihre Schüler hatte die Lehrerin bereits selbst gesammelt: Im ersten Abschnitt ihrer Fortbildung „Lyrisches Schreiben im Deutschunterricht“ unter der Leitung von José F. A. Oliver. Jetzt, im zweiten Teil, ging es darum ihre Erfahrungen auf den Unterricht zu übertragen.

Zur Person

José F. A. Oliver lebt als freier Autor in seinem Geburtsort Hausach im Schwarzwald (Ortenaukreis). Als Sohn andalusischer Eltern wurchs er dort zweisprachig auf. Bereits mit 13 Jahren schrieb er erste Gedichte. Oliver studierte in Freiburg Germanistik, Romanistik und Philosophie. Bis heute sind insgesamt 20 Bücher von ihm erschienen, bis auf zwei Essaybände hat er ausschließlich Gedichte veröffentlicht. Übersetzungen seiner Bücher gibt es inzwischen in 18 Sprachen. Oliver hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Chamisso-Preis (1997), den Kulturpreis Baden-Württemberg (2007) und den Basler Lyrik-Preis (2015).