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Berlin der 20er-Jahre wird lebendig

Überwältigt von der Fülle der Eindrücke sind die Besucher der „20er-Jahre-Revue“ in der restlos ausverkauften Stadthalle gewesen.

250 Schüler und an die 30 Lehrer beider Gymnasien, der Musikschule und der Jugendkunstschule haben dem Publikum am Samstagabend in einer beispiellosen Gemeinschaftsleistung mit einem vielseitigen Bild vom Berlin der 1920er-Jahre ein aufregendes Fest für alle Sinne inszeniert.

Wie aus einem Füllhorn hatten die Schulen die unterschiedlichsten Zutaten aus den Bereichen Musik, Tanz, Literatur, Theater und Kunst auf die Bühne gezaubert. Das grandiose Sinfonieorchester der Gymnasien und der Musikschule bestritt einen Löwenanteil des Programms und zeigte mit „Berliner Luft“, dass es sogar Märsche beherrscht. Die mitreißende Bigband „tutti funk“ des IKGs und flotte Combo der Musikschule rissen das Publikum schon vor Programmbeginn mit. Unter den Musikern waren auch einige Ehemalige und unterstützende Lehrer auszumachen. Der imposante Chor der Gymnasien füllte den gesamten hinteren Bühnenteil und beeindruckte mit vollem Klang und glockenreinen Stimmen.

Glücklich um jeden Preis?

Aus den Kollegien sollten wenigstens Alfons Schwab von der Musikschule und Martin Sturm vom OHG als Initiatoren der Monumentalproduktion unter dem Titel „…um jeden Preis“ namentlich aufgeführt werden – alle zu nennen würde jeden Rahmen sprengen. Die knifflige Koordination aller Einzelbeiträge lag in den Händen Schwabs, Sturm hatte die insgesamt fast 50 Schüler der Theater-AGs von OHG und IKG betreut. Sie hatten die Rahmengeschichte zwischen den musikalischen Beiträgen entwickelt: ein junger Tuttlinger will „um jeden Preis“ heraus aus der Enge der Provinz in die Großstadt Berlin, dort sucht er „um jeden Preis“ sein Glück. Unerwartet einsam und anonym zwischen den vielen Menschen in der Großstadt muss er sich entscheiden: Nimmt er in Kauf, auf die schiefe Bahn zu geraten, um genug Geld zum Überleben zu verdienen? Denn eines wird ganz deutlich an diesem Abend gezeigt: Die zwanziger Jahre waren nicht nur von hemmungsloser Vergnügungssucht der Charleston-Girls und Dandys bestimmt, nicht nur von großen Kinoproduktionen, Orchestern und Jazz-Bands. Der Erste Weltkrieg und seine Folgen, versehrte Kriegsheimkehrer, Inflation, Arbeitslosigkeit und politische Instabilität, hatten große Teile der Bevölkerung in bittere Armut gestürzt.

Den unabwendbaren Absturz einer jungen Frau etwa performte der Literaturkurs des OHGs als Poetry Slam. Die Theater-AGs mimten genauso überzeugend atemlos durch die Großstadt hetzende Menschenmengen wie Arbeitslose, die, unzufrieden protestierend, für ihre „Stütze“ Schlange stehen. Tiefen Eindruck hinterließen auch die gespielten politischen Aufmärsche. Da marschierten gleichzeitig Kommunisten und Nationalsozialisten (mit dem Horst-Wessel-Lied) bis in den Saal hinein.

Eigens gedrehter Film

Aber natürlich gab es auch ausgesucht Schönes: Ein eigens mit der Film-AG des IKGs gedrehter Schwarz-Weiß-Stummfilm mit hinreißender Live-Musik-Begleitung etwa, oder eine Sängerin, die gemeinsam mit der IKG-Bigband inmitten einer Gangster-Kneipe wie einst Marlene Dietrich „von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“war. Oder die flotte Charleston-Truppe, die ausgelassen und temperamentvoll über die Bühne fegte. Und nicht zu vergessen das humoresque „Triadische Ballett“ der Schüler der Jugendkunstschule. Zu Musik von Strawinskiy tanzten sie in Kostümen, die Oskar Schlemmers Figurinen nachempfunden waren.

Niemand vermochte wohl, jedes der zahllosen Details der Aufführung an diesem einen Abend zu erfassen, doch besondere Beachtung hatten die sechs Meter hohen Gemälde verdient, die seitlich die Bühne begrenzten. Schüler der Jugendkunstschule hatten sie als düstere, abweisende Großstadtkulisse gestaltet.

Männer mit Schiebermützen und Frauen mit Charleston-Kopfputz tummelten sich an diesem Abend nicht nur auf der Bühne – auch unter den Gästen waren überraschend viele dem Aufruf der Veranstalter gefolgt, sich stilecht zu kleiden. Die Grenze zwischen passivem Zuschauen und aktiver Teilhabe am Programm hatte sich schon vor Programmbeginn verwischt. Im Gefolge des „Obergangsters“ (der mit schicken Begleiterinnen im Oldtimer vorfuhr) begaben sich die Gäste in die Halle. Dort wurden die Besucher von Klavierspielern, Sängern und Combos in Empfang genommen – wie auch nach dem Programmende zur ausgiebigen gemeinsamen „Premierenfeier“ mit den Mitwirkenden.